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Einsatz für die Kleinsten

Mit der Geburt beginnt das Leben. Manchmal aber müssen sich Kinder dieses Leben erst erkämpfen. Ein Tag in der Neonatologie der HELIOS Kliniken Schwerin.

6:00 Uhr: Es riecht nach Tee. Zwölf Frauen versammeln sich mit dampfenden Bechern um den Stationstresen. Pünktlich beginnt auf der Schweriner Neonatologie die Übergabe vom Nacht- ans Tagteam – zunächst mit allen Pflegenden, damit alle auf einem Stand sind. Anschließend teilt Stationsleiterin Ines Niemann den Krankenschwestern die Zimmer zu. Dort geht die Schichtübergabe in kleinen Teams ausführlich weiter, von Brutkasten zu Brutkasten, von Bettchen zu Bettchen.

(Veröffentlicht: Dezember 2016)

Die 22 Betten der Station verteilen sich auf sieben Zimmer, alle über einen langen Gang verbunden, dessen Wände im Stil einer Wasserwelt gestaltet sind. Bunte Fische und Korallen, Boote, Leuchttürme und Strände bringen Farbe in einen Bereich, in dem sonst nicht viel an Kindheit erinnert. Es gibt vier Intensivpflegezimmer (ITS) mit Platz für jeweils drei Inkubatoren sowie drei Intensivüberwachungszimmer (IMC) mit je vier Wärmebettchen. Drei Rooming-in-Zimmer – sie heißen „Haifisch“, „Seepferdchen“ und „Wal“ – mit jeweils zwei Betten ermöglichen es den Müttern, ihren Kindern rund um die Uhr nahe zu sein. Pro Jahr werden in der Schweriner Neonatologie über 400 Frühgeborene beziehungsweise kranke reife Neugeborene behandelt. Als Frühgeborene gelten Kinder, die vor der 37. Schwangerschaftswoche das Licht der Welt erblicken.

Als Frühgeborene gelten Kinder, die vor der 37. Schwangerschaftswoche das Licht der Welt erblicken.

„Nicht alle Kinder, die unter der 37. Schwangerschaftswoche geboren werden, sind gleich gefährdet. Die Herausforderung in der Behandlung und das Risiko für Komplikationen sind umso größer, je unreifer das Kind ist“, sagt Chefarzt Dr. Olaf Kannt. Sei es, dass der Säugling keine Nahrung verträgt, der Darm überfordert ist oder die Lunge noch nicht so weit ist, dass das Kind selbständig atmen kann. Je unreifer das Neugeborene, umso größer ist auch das Risiko von Hirnblutungen. „Weil sich diese nur sehr schwer behandeln lassen, tun wir alles, um sie zu verhindern“, so Dr. Kannt.

Was das genau bedeutet, ist in der HELIOS Checkliste zur Vermeidung von Hirnblutungen festgehalten. „Minimal Handling“ heißt das Zauberwort im Umgang mit den Frühchen: Sie werden so behutsam versorgt, wie es nur geht. Jedes Herausnehmen und Hineinlegen in Brutkasten oder Wärmebettchen geschieht langsam und mit Rücksicht auf die empfindliche Wahrnehmung des Kindes.

In den Intensivpflegezimmern ist es sehr warm, die Raumtemperatur liegt bei zirka 26 Grad. Medizintechnik dominiert die Zimmer: hochtechnisierte Inkubatoren, Schläuche, Kabel, Geräte und Monitore. Schwester Nicole kümmert sich hier um Mattes und Emil. Sie wickelt und füttert die Zwillinge, die in der 28. Schwangerschaftswoche geboren wurden, misst ihre Temperatur, gibt ihnen Medikamente. Regelmäßig lagert sie die Kleinen um, weil sie aufgrund ihrer empfindlichen Haut schnell Druckstellen bekommen.

Einmal in ihrer Schicht misst sie Blutdruck, einmal wöchentlich wird Blut aus der Ferse entnommen – so auch heute. „Das machen wir morgens gleich als Erstes, damit die Ergebnisse bis zur Visite vorliegen“, erzählt die 39-Jährige. Mit geübtem Handgriff, Punktionssystem und Entnahmeröhrchen zieht sie an der winzigen Ferse etwas Blut. Die Ergebnisse geben Auskunft über den Säure-Basen-Haushalt des Kindes und werden den Ärzten später sagen, ob die Infusionstherapie geändert werden muss.

Einmal pro Woche tauschen sich die Teams der Neonatologie und Geburtshilfe aus.

8:00 Uhr: Chefarzt Olaf Kannt beginnt mit der Visite. Heute sind besonders viele Ärzte und Pflegekräfte dabei: Einmal pro Woche führen die Teams von Neonatologie und Geburtshilfe die Morgenvisite gemeinsam durch und tauschen sich über den Gesundheitszustand der Kinder aus, die auf der Neonatologie aufgenommen wurden. In einem der Inkubatoren liegt Freja, die in der 36. Schwangerschaftswoche geboren wurde. Weniger ihr Geburtstermin gibt Anlass zur Sorge als ein angeborener Dünndarmverschluss. Kaum geboren, musste Freja bereits zwei Mal operiert werden. Bei der Visite entscheiden die Ärzte: Heute können die Fäden gezogen werden.

10:00 Uhr: Die ersten Mütter treffen ein. Eine von ihnen ist Xenia Dräger, die Mutter von Mattes und Emil. Seit sie ihre Kinder selbst versorgen darf, ist sie ins Rooming-in eingezogen. Von zehn Uhr morgens bis Mitternacht ist sie bei ihren Söhnen, wickelt und wäscht sie, schaut sie an, wenn sie schlafen, redet mit ihnen. Die Zwillinge liegen in einem Intensivzimmer in beheizten und transparenten Brutkästen aus Plexiglas. Piepende Monitore und Türme aus medizinischen Geräten beherrschen den Raum. Schläuche führen in die Nase und ernähren Mattes und Emil über eine Magensonde.Am Tag übernehmen vor allem die Eltern die Versorgung ihrer Kinder, die Schwestern stehen ihnen beratend zur Seite.

Die Frühchen werden so behutsam versorgt, wie es nur geht.

Die winzigen Gesichter verschwinden beinahe unter den Beatmungsmasken, mit der sie aussehen wie kleine Taucher. Doch die Masken brauchen sie, weil ihre Lungen für ein Leben außerhalb des Mutterbauchs noch nicht reif genug sind. Elektroden an Brust und Fuß überwachen ihren Kreislauf. Sie registrieren: Emil hat Atemaussetzer, seine Herzfrequenz sinkt – der Überwachungsmonitor schlägt Alarm. Xenia steht am Brutkasten ihres Sohnes. Von den Schwestern der Neonatologie hat sie den Alarm einzuschätzen gelernt; sie massiert ein wenig die Brust ihres Sohnes und drückt an seinen Füßen. Schließlich atmet Emil wieder und die Monitore verstummen.

„Mattes macht das schon ganz toll. Aber Emil hat leider noch häufig Atempausen. Das muss er noch lernen“, sagt sie und streichelt liebevoll sein Köpfchen. Zweimal am Tag liegen die Zwillinge für ein bis zwei Stunden auf ihrer Brust. Das sogenannte Känguruing ist wichtig: Studien belegen, dass die Atmung dann stabiler und der Herzschlag gleichmäßiger ist, die Babys sich beruhigen.

14:00 Uhr: Schwester Konstanze kommt zum Spätdienst. Sie ist ausschließlich im IMC-Bereich tätig. „Seit ich Mutter bin, fällt es mir schwer, die ganz kleinen Würmchen, die ums Überleben kämpfen, zu umsorgen. In den Intensivüberwachungszimmern fühle ich mich wohler“, erzählt sie. Hier richtet sich die Versorgung nach dem Rhythmus der Kinder. Sie liegen in ihren Wärmebettchen und werden in der Regel nur noch über eine kleine Manschette, die an ihrem Fuß befestigt ist, überwacht. Am Tag übernehmen vor allem die Eltern die Versorgung ihrer Kinder, die Schwestern stehen ihnen beratend zur Seite. „Viele Eltern sind unsicher im Umgang mit ihren Kindern, vor allem, wenn diese noch krank sind. Unsere Aufgabe besteht in erster Linie darin, Ängste zu nehmen, die Eltern im Umgang mit ihren Kindern anzuleiten und ihnen damit Sicherheit zu geben“, sagt Schwester Konstanze.

Lisa Dierenfeld zieht mit Tochter Freja in das Haifisch-Zimmer zum Rooming-in ein.

16:00 Uhr: Für Mama Lisa Dierenfeld und Tochter Freja ist jetzt Kuschelzeit. „Sie hat heute zum ersten Mal an der Brust getrunken“, erzählt die junge Mutter stolz. Erleichterung und Freude schwingen in ihrer Stimme mit. „Bereits während meiner Schwangerschaft haben wir erfahren, dass Freja einen Dünndarmverschluss hat, der außerhalb der Bauchdecke endet. Wir wussten, dass sie gleich nach der Geburt operiert werden und auf die Frühchenstation ziehen würde.“

Lisa und ihr Freund hatten schon einen Termin zur Stationsbesichtigung vereinbart, um sich auf die Zeit nach der Geburt vorzubereiten, als Freja vier Wochen vor dem errechneten Entbindungstermin per Notkaiserschnitt auf die Welt geholt werden musste.

„Ich konnte mein Kind erst zwei Tage nach der Geburt sehen. Die ganze Technik um ihr Bettchen, die vielen Kabel und Monitore. Das war ein Schock, ich habe einfach nur geweint. Am dritten Tag durfte ich Freja auf den Arm nehmen. Da hatte ich das erste Mal das Gefühl von einem ‚Geburtsmoment‘.“ Die Geduld und das Warten darauf, dass es ihrer Tochter besser geht, haben sich gelohnt: Heute zieht Lisa in das Haifisch-Zimmer zum Rooming-in ein. Sie ist voller Zuversicht: „Ich ziehe ein und bleibe so lange, bis meine Tochter und ich gemeinsam nach Hause gehen können.“

Christian Güttel holt mit dem Transportinkubator ein Frühchen aus dem Kreißsaal ab.

20:00 Uhr: Langsam kehrt Ruhe auf der Neonatologie ein: Bis 23 Uhr ist Nachtruhe, ehe dann die nächste Versorgungsrunde beginnt. Die Lichter in den Patientenzimmern sind gedimmt oder aus. Die einzigen Laute sind das leise Ventilatorenrauschen der Geräte und dann und wann ein Alarm, wenn ein Baby vergisst zu atmen und Herzfrequenz und Sättigung sinken. Dann kommen die Schwestern an den Inkubator und regen mit einer Massage von Brust oder Fuß die Atmung wieder an. Zum Pflegeteam der Nachtschicht gehört auch Schwester Janet. Ihr Arbeitsbereich sind die IMC-Zimmer. Gerade befinden sich sechs Babys in ihrer Obhut. Noch weiß die 44-Jährige nicht, dass ihre Schützlinge heute Nacht noch einen neuen Mitbewohner bekommen.

22:30 Uhr: Der diensthabende Arzt Christian Güttel kommt und informiert sich über Besonderheiten im Laufe des Spätdienstes. Anschließend wirft er einen prüfenden Blick in jeden Inkubator und jedes Bettchen und untersucht einige Kinder. „Im Kreißsaal liegt eine Schwangere in der 34. Woche. Es kann gut sein, dass wir heute Nacht noch Zuwachs bekommen“, sagt der Oberarzt zu Schwester Janet. Und tatsächlich: Eine Stunde später kommt der Anruf. Beide machen sich mit einem transportablen Inkubator auf den Weg in den Kreißsaal und holen den nur wenige Minuten alten Robin.

„Jedes Kind, das unter der 37. Schwangerschaftswoche geboren wird, kommt zur Überwachung auf die Neonatologie“, erklärt Oberarzt Güttel. Er macht bei dem Jungen einen Gesundheitscheck und bemerkt fehlende Falten unter der Fußsohle oder Fingernägel, die noch nicht bis an den Rand der Finger reichen – alles deutliche Unreifezeichen. „Mit unserem Wissen und medizinischen Geräten versuchen wir eine Entwicklung wie im Mutterleib zu simulieren. Unsere Schützlinge bekommen hier alle medizinische Hilfe, die sie brauchen.“

3:30 Uhr: Die restliche Nacht ist ruhig verlaufen. Jetzt erfolgt die letzte Versorgungsrunde, bevor der Frühdienst die Aufgabe wieder übernimmt. Schwester Janet schreibt Kurven für den nächsten Tag vor, wartet das Transportsystem und füllt noch Infusionen und Desinfektionsspender auf. Jemand hat bereits Tee gekocht – die Kollegen der Frühschicht stehen schon in den Startlöchern. 

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